"Durch die Wiedervereinigung und die Spieler der DDR wird Deutschland auf Jahre unschlagbar sein", jubilierte DFB-Teamchef Franz Beckenbauer nach dem Gewinn der Weltmeisterschaft 1990 und kurz vor der Wiedervereinigung Deutschlands am 03. Oktober des Jahres. Was für den Kaiser damals schon als logische Schlussfolgerung galt, sollte auch die Manager der Fußball-Bundesligateams in wahre Vorfreunden auf künftige Erfolge ihrer Vereine versetzen. Denn viele feine Fußballer brillierten damals in den ostdeutschen Mannschaften wie dem FC Karl-Marx-Stadt, SG Dynamo Dresden, 1. FC Magdeburg oder Dynamo Berlin.
Kein Wunder, dass sich die finanzkräftigeren Teams aus dem Westen des Landes um die Stars der ehemaligen DDR bemühten. Matthias Sammer, Andreas Thom, Ulf Kirsten, Thomas Doll und allen voran Rico Steinmann galten die Spieler, die nicht nur die (gesamt-)deutsche Nationalmannschaft über Jahre unschlagbar machen, sondern auch die Bundesligateams mit ihrem Können voran bringen sollten.
Als Erster machte Stürmer Andreas Thom den Schritt hinüber von der DDR-Oberliga ins Rampenlicht der westdeutschen Fußball-Bundesliga. Vom DDR-Rekordmeister Dynamo Berlin wechselte er im Januar 1990 für 2,5 Millionen Mark zum rheinischen Werksklub Bayer Leverkusen. Weitere Stars sollten ihm bald folgen: Auch Matthias Sammer (VfB Stuttgart), Thomas Doll (Hamburger SV) und Ulf Kirsten (ebenfalls Bayer Leverkusen) kamen als "Sternchen des Ostens" bei ambitionierten Klubs des Westens unter.
Dino Zoff: "Das kann mal ein ganz Großer werden"
Den vermeintlich größten Coup sollten aber der 1. FC Köln und FC-Sportdirektor Udo Lattek landen. Nach langen, zähen Verhandlungen gelang es den Geißböcken, das wohl größte Talent zu verpflichten, was die DDR bis dato hervor brachte: den damals 23-jährigen Mittelfeldstrategen Rico Steinmann, Kapitän vom FC Karl-Marx-Stadt (heute: Chemnitz).
Mit 17 Jahren debütierte Rico Steinmann bereits in der DDR-Oberliga, mit 19 Jahren spielte er für die DDR-Nationalmannschaft, zuvor wurde er Junioren-Europameister und begeisterte auf internationalem Pakett. Nach zwei überragenden Spielen Steinmanns im UEFA-Cup gegen Juventus Turin 1989 urteilte deren Star-Trainer Dino Zoff bereits, dass Steinmann mal "ein ganz Großer werden" könne. "Rico Steinmann ist mein einziges Vorbild", sagte Michael Ballack, der ihm als 14-jähriger sehnsüchtig beim Training in Chemnitz zusah.
Für 3,6 Millionen Deutsche Mark wechselte der 23-fache DDR-Nationalspieler trotz zahlreicher Mitbewerber an den Rhein. Der Schritt zum FC sollte für beide Seiten ein lohnenswertes Geschäft werden: Der 1. FC Köln sah in Rico Steinmann den potenziellen Nachfolger von FC-Legende Pierre Littbarski und der Spieler wollte mit seinem Wechsel zu den Geißböcken den Schritt zum damals vorgezeichneten Weg zum Weltstar machen. Dieser gelang ihm allerdings nie...
"Köln, das war ein Kulturschock"
Heute dient Rico Steinmann als Paradebeispiel für einen Spieler, der an übersteigerten Erwartungen des Vereins, der Medien, der Fans und den eigenen Ansprüchen scheiterte. Die Geißböcke, die damals mit ihren Leistungen den eigenen Erwartungshaltungen hinterherhinkten, sahen in Steinmann einen Heilsbringer, der in dieser Rolle gnadenlos überfordert war. Der Klub hatte mit vielen eigenen Problemen zu kämpfen als dass sie Steinmann damals das Umfeld bieten konnten, das es ihm ermöglichte, sein Potenzial ausschöpfen zu können. FC-Trainer Erich Rutemöller, mit dem FC in akuten Abstiegsnöten, verließ den Klub ebenso schnell wie Sportdirektor Udo Lattek, der den Transfer damals einleitete. Für Steinmann, dessen Leistungen bis dato auch nicht für einen Aufschwung beim Geißbockklub sorgen konnten, der Anfang vom Ende einer möglichen großen Karriere.
Jörg Berger, der auf Erich Rutemöller als FC-Trainer folgte, sah für den sensiblen Techniker keine Verwendung. "Steinmann hat nie gelernt, sich durchzusetzen, ihm fehlt das Basiswissen im Überlebenskampf der Bundesliga", sprach er und entzog dem Spieler das Vertrauen. Fortan wurde auf die Spieler vertraut, die nach Ansicht des Trainers den Ansprüchen im Abstiegskampf in der Bundesliga gewachsen waren. Rico Steinmann, der bisher nur die Sonnenseiten des Geschäfts kennengelernt hatte, resignierte. Vom vermeintlich kommenden Star wurde er zum Mitläufer in der Mannschaft. Fans und Medien quittierten dieses Auftreten mit Mißachtung, ein Teufelskreis, aus dem Steinmann in Köln nicht mehr heraus kam. "In Köln wurde Rico heruntergewirtschaftet. Heute hat er hier so wenig Kredit, daß ich ihn nicht mehr einsetzen kann. Aber ich lasse weder sportlich noch menschlich etwas auf ihn kommen", erzählte Peter Neururer, die vierte Coach (auf Rutemöller und Berger folgte Morten Olsen) unter dem Steinmann beim 1. FC Köln arbeitete.
Nach 139 Einsätzen und 10 Treffern zogen Verein und Spieler einen Schlussstrich und trennten sich. Als "größtes Talent der DDR" gekommen, wurde Rico Steinmann geläutert und mit Pfiffen verabschiedet. Verein und Spieler konnten zu keinem Zeitpunkt das umsetzen, was sie damals gegenseitig von sich erwarteten. Seinen letzten Auftritt für den 1. FC Köln hatte er am 4. Spieltag der Saison 1996/97. Unter den Pfiffen der Zuschauer verließ er beim 0:2 gegen Hansa Rostock in der 72. Spielminute den Platz. "Ich war zu jung und zu empfindlich", sagt Rico Steinmann rückblickend. Nach drei Jahren beim niederländischen Verein Twente Enschede beendete er 2000 seine aktive Karriere. Ein Länderspiel für die BRD absolvierte er nie.